Katharina Rogenhofer ist eine österreichische Klimaaktivistin. Sie hat „Fridays for Future“ in Österreich mitbegründet und ist seit 2019 Sprecherin des Klimavolksbegehrens. Ihr erstes Buch „Ändert sich nichts, ändert sich alles“ erschien im Juli 2021. Sie war unter anderem als freie Journalistin und an der UN-Klimakonferenz in Katowice als Praktikantin für UNFCCC tätig.
„Politik ist kein Nachfrage-Angebotsgeschäft. Es geht vielmehr darum, für eine bestimmte Vorstellung davon, wie eine gute Welt, eine faire Gesellschaft und eine funktionierende Wirtschaft aussehen, Mehrheiten zu schaffen und diese Zukunft dann zu ermöglichen. In der Klimakrise brauchen wir eine Politik, die das wissenschaftlich Notwendige auch politisch möglich macht.“
Pernkopf: In einem Interview hast Du gesagt, im Kampf gegen die Klimakrise brauche es auch soziale Innovationen. Wie können diese sozialen Innovationen Deiner Meinung nach aussehen?
Rogenhofer: Die Klimafrage ist eng damit verknüpft, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen. Soziale Innovationen können verschränkt mit technischen Innovationen eine ganz neue Lebensqualität schaffen. Da geht es darum, wie wir öffentlichen Raum in Städten organisieren, wer wie viel Platz bekommt, wo wir uns treffen und zusammenkommen können. Neben raumplanerischen Fragen ist es aber auch wichtig, wie sich Menschen organisieren können: Wenn Zusammenarbeit in der Nachbarschaft gestärkt wird, dann kann das Energiegemeinschaften hervorbringen, regionale Bauernmärkte, Reparaturcafés, oder es kann die Care-Arbeit erleichtern. Soziale Innovationen sind beispielsweise auch community nurses, als medizinische Ansprechperson in einer Gemeinde. Es geht bei solchen Innovationen also viel darum, wie wir in Zukunft zusammenleben und Alltag gestalten wollen.
Pernkopf: Einer meiner Leitsätze für das Landleben ist „Sozialer Zusammenhalt ist das Fundament für das Leben in Dörfern und auf dem Land.“ Damit meine ich alles, was man klassisch unter aufeinander schauen“ versteht. Das ist nicht neu, sondern hunderte von Jahren alt. Inwiefern ist das heute noch wichtig oder innovativ?
Rogenhofer: Wir erleben gerade beides: Polarisierung und Solidarität, das hat man auch bei Corona gesehen. Einerseits haben wir ein, auch medial verstärktes, Auseinanderdividieren erlebt. Gleichzeitig haben viele ihre Nachbarinnen und Nachbarn kennengelernt und sind für sie einkaufen
gegangen. Ich glaube dieses „Aufeinander schauen“ kann auch etwas Revolutionäres haben. Man kommt ins Gespräch mit Personen, die unterschiedliche Meinungen haben, bereichert sich gegenseitig. Dieses soziale Netz kann dann eine unterstützende Funktion haben. Man kann sich zusammenschließen und sich gemeinsam eine Photovoltaikanlage leisten, oder borgt sich gegenseitig Dinge, damit sie nicht jeder kaufen muss. Daneben ist es aber auch wichtig, um im Grätzel, Bezirk oder der Gemeinde politisch aktiv zu werden. „Aufeinander schauen“ kann dann der erste Schritt sein, die Nachbarschaft gemeinsam zu gestalten.
Pernkopf: Unsere Meinung trifft sich gerade beim Thema sharing economy. Aber was hat das mit Besitz und Eigentum zu tun?
Rogenhofer: Im Sinne der Ressourcenschonung, müssen wir zum Beispiel überdenken, ob jeder ein Auto besitzen muss. Ungefähr 95 Prozent der Zeit steht ein Auto in der Stadt herum und wird nicht gebraucht. Das heißt also, wir brauchen tonnenweise Materialien für ein Auto und setzen uns vielleicht nur einmal am Tag rein und fahren irgendwo hin und zurück. Da ist die erste Frage: Brauche ich das Auto überhaupt? Selbst wenn ich am Land wohne und keine Öffi-Verbindung habe, kann das Auto vielleicht geteilt werden. Wenn viele Menschen aus einem Ort in demselben Unternehmen arbeiten, wieso nicht Fahrgemeinschaften gründen? Oder ein Car-Sharingsystem aufbauen? Es geht mir nicht darum, dass wir gar nichts mehr besitzen dürfen. Aber wir müssen überdenken, welche Sachen wir wirklich brauchen und welche wir teilen können. Vielleicht muss am Land nicht jeder einen Kärcher oder einen Rasenmäher haben. Oder in der Stadt ist es vielleicht zielführend einen gemeinsamen Waschkeller in Wohngebäuden zu haben und sich so die Ressourcen zu teilen. Aber hier braucht es auch den Einsatz der Politik. Es braucht Gesetze, die lange Haltbarkeit und Reparierbarkeit von Geräten als Standard vorgibt.
Pernkopf: Du setzt Dich stark für Klimagerechtigkeit und Generationengerechtigkeit ein. Inwiefern braucht es auch eine neue Gerechtigkeit für den Ländlichen Raum?
Rogenhofer: Das hat viel mit der Frage der Wertschätzung zu tun. Bei Generationengerechtigkeit und globaler Gerechtigkeit geht es mir darum, dass wir heute in unseren Entscheidungen auch immer die nächsten Generationen und auch Menschen, die heute schon von der Klimakrise betroffen sind, mitdenken sollten. Das wurde politisch in den vergangenen Jahrzehnten verabsäumt.
Und die Frage lautet dann wohl: inwiefern denken wir den Ländlichen Raum mit? Ich habe selbst große Wertschätzung gegenüber der Land- und Forstwirtschaft gewonnen. Menschen, die dort arbeiten, spüren die Klimakrise tagtäglich durch Dürreperioden, Waldsterben und Ernteausfälle.
Diese Branchen können auch Teil der Lösung werden. Aber dazu müssen sie eben richtig gemacht werden. In der Landwirtschaft kann durch Humusaufbau CO2 im Boden gebunden werden. Es geht aber auch um Fruchtfolgen und darum, wie wir alte Sorten und Flächen für Insekten integrieren. Durch diversere Bepflanzung statt Fichtenmonokulturen, machen wir auch unseren Wald widerstandsfähiger. Jetzt, wo wir über die Klimakrise Bescheid wissen, müssen wir eine ganz andere Art der Bewirtschaftung zur Norm machen. Dafür ist es notwendig, dass wir den Ländlichen Raum stärker wertschätzen und mitdenken – gerade auch in der Politik. Es muss Gesetze und Förderregime geben, die es der Land- und Forstwirtschaft ermöglichen, klima- und biodiversitätsgerecht zu wirtschaften.
Und gerade im Ländlichen Raum braucht es rigorose politische Lösungen zur Frage, wie ich klimafreundlich von A nach B komme. Das wird derweil noch vernachlässigt.
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Pernkopf: Ich sage immer: Ziele sind noch keine Handlungen. Ich war ein wenig enttäuscht von den Ergebnissen der Klimakonferenz in Glasgow. Woran scheitert die europäische Klimapolitik Deiner Meinung nach?
Rogenhofer: Ich habe das Gefühl, dass die Tragweite des Problems noch nicht ganz verstanden worden ist. Gerade jetzt wurde wieder ein Bericht des IPCC veröffentlicht, der zeigt, dass bei einer Erhitzung um 1,7–1,8°C die Hälfte der Weltbevölkerung lebensbedrohlich von den Folgen der Klimakrise betroffen sein wird. Das sind Milliarden von Menschen! Und gleichzeitig ist die Politik und auch die Wirtschaft häufig noch verfahren in dem „weiter-wie-bisher“ und dieser Widerspruch führt oft zu Greenwashing. Banken, die zwar Grünstrom für ihr Hauptquartier beziehen, aber weiter in fossile Projekte investieren oder Kredite für neue Kohlekraftwerke vergeben. Das ist, als würde ich auf einer Luxus-Yacht Recyclingklopapier verwenden. Auch Wirtschaftsvertretungen sind da oft noch bremsend und setzen sich zum Beispiel für die Beibehaltung des Dieselprivilegs oder die Verschiebung der ökosozialen Steuerreform ein. Auch die Politik verstrickt sich in Widersprüchlichkeit. Zwar haben wir das Ziel 2040 klimaneutral zu werden, aber noch keinen gesetzlich festgelegten Reduktionspfad, der zeigt, wie wir dort hinkommen wollen und was wir bei jährlichen Emissionsüberschreitungen machen. Das Klimaschutzgesetz, das dies festlegen sollte, fehlt derweil noch, genauso wie ein Erneuerbare-Wärme-Gesetz. Wir haben in Österreich ungefähr 600.000 Öl- und fast eine Million Gasheizungen. Es braucht einen Plan, wie wir die alle durch erneuerbare Alternativen ersetzen. Gerade jetzt, wo uns die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas vor Augen geführt wird, mit der wir indirekt den Krieg finanzieren, ist eine Energiewende umso dringender. In Österreich dürfen heute noch Gasheizungen in Neubauten eingebaut werden. Das ist doch absurd! Damit betonieren wir Emissionen für die nächsten Jahrzehnte ein!
Wir sind also bisher ins Reden gekommen und haben uns Ziele gesteckt, jetzt müssen wir auf allen Ebenen vom Reden ins Tun kommen. Und hier spielen Medien und zivilgesellschaftliches Engagement eine wichtige Rolle. Wir müssen nun genau hinschauen und aufzeigen, wo und von wem gebremst wird und wer sich nur ein grünes Mäntelchen umhängt. Auf der anderen Seite gilt es das zu unterstützen und voranzutreiben, wo sich sehr wohl etwas ändert. Es gibt viele Initiativen von Gemeinden, Unternehmen und Organisationen, die mir Hoffnung geben. Auch international ist längst nicht alles auf Schiene. Während Von der Leyen ihren Green Deal als „man on the moon moment“ der EU umschreibt und sich mit einer schönen Vision Europas schmückt, zeigen die Gesetzgebungen teilweise in die falsche Richtung. So werden in Zukunft Investitionen in Erdgas und Atomenergie wohl als „grün“ gelten. Statt hier mehr Probleme zu schaffen, als zu lösen, sollten wir daran arbeiten, mutige Klimapolitik wirklich anzugehen: Den Ausstieg aus den Fossilen zu schaffen, die Wärmeversorgung alternativ aufzustellen und ein gesamteuropäisches Zugsystem aufzubauen. Hier vermisse ich Entschlossenheit und klare Pläne, statt Ausreden.
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