Andreas Brandstetter, geboren 1969, ist in Schönberg am Kamp aufgewachsen, lebt heute in Wien und ist Vater von drei Kindern. Er studierte Politikwissenschaften, Geschichte und später Wirtschaft. Seine Ausbildungen absolvierte er in Wien und den USA. Heute ist er Vorstandsvorsitzender des Versicherungsunternehmens UNIQA Insurance Group AG.
„Wir tun uns alle leichter im Leben, wenn es einen Sinn gibt, den wir in unserem Tun sehen. Und ich glaube, diese Suche nach Heimat, nach Sinnstiftung, ohne dass das jetzt provinziell oder altväterisch klingt, auf die kommt es jetzt an.“
Pernkopf: Was hat das Landleben an Vorteilen, was Städte nicht bieten können? Sind Stadt und Land Gegensätze?
Brandstetter: Für mich persönlich war und ist das Land ein Kraftplatz, ein Ort der Rückkehr, der Besinnung, des Purseins, des Menschseins. Das Land ist für mich auch ein Ort des Seins wie ich bin – wo ich nicht eine Rolle, eine Funktion einnehmen muss. Für mich ist der Beruf in der Stadt – ich mag Stadt, ich brauche Stadt – aber ich brauche viel mehr das Land. Ich brauche den Sommer zuhause im Garten, die Luft im Wald, brauch Stille, weil mein Leben beruflich sehr laut und schrill ist. Und im Beruf ist sehr viel Druck auszuhalten, zu entsprechen und zu liefern. Und Natur ist für mich Auftanken, Ankommen. Stadt und Land bedingen sich. Das eine ist ohne das andere undenkbar. Wenn man in das eine eintaucht, bekommt das andere ein neues Format und einen anderen Stellenwert. Es ist wie Yin und Yang. Aber es ist auf keinen Fall einander ausgrenzend oder einander feindlich und beides hat Platz und Raum.
Pernkopf: Du bist Manager in der Wirtschaft. Dezentralisierung ist eine Tendenz in Österreich – kann das Land davon profitieren?
Brandstetter: Ja, das ist eindeutig eine große Chance und Perspektive für das Land. Covid hat uns zuletzt gezeigt, dass Arbeit komplett disloziert stattfinden kann. Arbeit muss auch nicht im Kosovo oder in anderen Billiglohnländern stattfinden. Arbeit kann in hochqualitativer Form auch im Mühlviertel oder Waldviertel stattfinden. Mir ist nur wichtig, dass wir schauen, dass der Ländliche Raum intakt bleibt. Man muss gut überlegen: Wo siedeln wir welche Arbeit wie an? Das Gleichgewicht zwischen Ökologie und Ökonomie gut zu erhalten, darauf kommt es an. Aus dem heraus erkennst Du jetzt auch eine gewisse Sorge von mir, was die Zersiedelung betrifft, die ich da und dort wahrnehme. Wir brauchen noch viel mehr Hirnschmalz, gute Planung und auch ein Stück weit Zurückhaltung, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.
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Pernkopf: Du bist als Vorstand eines börsennotierten Unternehmens neben den Kunden vor allem auch den Aktionären verpflichtet: Wachstum, gesundes Unternehmen, Dividende – alles Werte, die sehr wirtschafts- und profitbasiert anmuten. Was braucht es eigentlich für ein „gutes Leben“? Wie können da grüne Investitionen mitwirken?
Brandstetter: Grüne Investitionen sind das große Thema des nächsten Jahrzehntes. Und wenn das gut gelingt, kann man hier eine gute Kombination von globalen Investoren und kleinteiligen Regionen erreichen. Wenn es uns gelingt, dass wir auch in kleinen Strukturen Kapital und Geld so hinlenken, dass dort die grüne Transformation unmittelbar erlebbar ist, durch eine spezielle Form eines Flusskraftwerks, durch Solartechnik und anderes, ist das aus meiner Sicht der perfekte Kreislauf. Und ich bin sicher, da wird es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auch noch viel geben, was heute noch gar nicht existiert, weil sich hier technisch so viel weiterentwickelt.
Wichtig ist, dass das Kapital aus einer Kleinregion, die in eine Versicherung beispielsweise einzahlt, auch wieder direkt vor Ort reinvestiert wird und so sichtbar und spürbar für die Menschen ist.
Pernkopf: Vorratshaltung hatte über Jahrzehnte keine Konjunktur. Corona und der Ukraine-Krieg lassen die Menschen umdenken. Schlägt das Pendel gerade wieder zurück?
Brandstetter: Ich hoffe nicht. Ich bin ein erklärter Fan des globalen Handels und ich glaube, das hat uns als Gesellschaft jenen Wohlstand beschert, den wir heute haben. Österreich hat stark davon profitiert. Aber möglicherweise wird es da und dort ein gewisses Umdenken brauchen. Wenn man sich auf verschiedene Staaten, politisch umstrittene Staaten, und Kooperationen nicht mehr verlassen kann, dann braucht es da oder dort andere Bündnispartner oder eine Schaffung von Vorratshaltung. Oder das Gewinnen von Ressourcen oder Produktionsmitteln im eigenen Land oder in jenen Drittstaaten, denen man vertrauen kann.
Pernkopf: Der Arbeitstitel unseres Buches lautet „Metaversum und Hobelbank“. Geht beides?
Brandstetter: Ja. Gerade in diesen Krisenzeiten erlebe ich in meinem Umfeld, dass wir permanent von digitaler Überforderung und von Sinnentfremdung sprechen. Wir tun uns alle leichter im Leben, wenn es einen Sinn gibt, den wir in unserem Tun sehen. Und ich glaube, diese Suche nach Heimat, nach Sinnstiftung, ohne dass das jetzt provinziell oder altväterisch klingt, die kommt jetzt. Und meine These ist, dass diese Suche unter dem stattfindenden Klimawandel immer mehr an Attraktivität gewinnt. Aber noch einmal: beides ist möglich, als Optimist sehe ich die Hobelbank eindeutig stark im Trend.
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Das ganze Werkstattgespräch findest Du im Buch