Digitale Innovation macht Gesundheitsversorgung am Land leichter
Gesundheitliche Versorgung, notärztliche Behandlung und Pflege stehen in ländlichen Regionen durch die geringe Bevölkerungsdichte, einen wachsenden Mangel an Ärzten und Pflegefachkräften und den demographischen Wandel vor enormen Herausforderungen.
Die Bevölkerungspyramide hat sich in den letzten Jahrzehnten umgedreht: Es gab lange einen Abwärtstrend in der Geburtenrate und gleichzeitig stieg die Lebenserwartung, so dass der Anteil hochbetagter Menschen heute größer ist denn je. Die Auswirkungen des demographischen Wandels sind in Österreich allerdings räumlich sehr ungleich verteilt: In Städten ist durch vermehrten Zuzug eine Verjüngung zu beobachten, während im ländlichen Raum die Überalterung schnell voranschreitet und durch Wegzüge junger Menschen noch verstärkt wird.
Insbesondere ältere Menschen sind auf verlässliche medizinische Versorgung in Wohnortnähe angewiesen. Doch gerade auf dem Land kann eine solche kaum noch lückenlos bereitgestellt werden kann. Es fehlen Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und psychotherapeutische Angebote; Kliniken, Praxen, Pflegeeinrichtungen und betreute Wohnstätten rentieren sich am Land wirtschaftlich oft weniger als in Ballungsräumen und sind zudem als Arbeitsstelle unattraktiver. Für Arztbesuche, Behandlungen, Vorsorge und auch in der mobilen Pflege müssen so mitunter weite Distanzen zurückgelegt werden. Vor allem mit den im Alter zunehmenden Mobilitätseinschränkungen und chronischen Erkrankungen kann dies die Lebensqualität älterer Menschen am Land erheblich beeinträchtigen. Doch auch junge Familien mit Kindern leiden unter den Lücken in der medizinischen Versorgung.
Besonders dramatisch zeigen sich die ländlichen Versorgungslücken in der medizinischen Versorgung und im Rettungswesen am erhöhten Risiko, dass Herzinfarkte oder Schlaganfälle am Land tödlich enden, da hier eine schnelle Notfallversorgung überlebenswichtig sein kann.
Allein durch die technologische Entwicklung und die Digitalisierung lassen sich die beschriebenen Probleme in der gesundheitlichen Versorgungslandschaft nicht lösen - digitale Innovationen bergen aber erhebliches Potenzial für eine bessere lokale und ambulante Versorgung, optimierte Notfallhilfe und erleichterte Vorsorge.
Gesünder am Land durch Digitalisierung und Vernetzung
Im ländlichen Raum gilt es, Distanzen besser zu überwinden, knappe Ressourcen gezielter einzusetzen und alle beteiligten Akteure und Infrastrukturen des Gesundheitssystems intelligent zu vernetzen. Technische und digitale Innovationen können hier dazu beitragen, dass den Wünschen und Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten besser begegnet werden kann, sofern Technologien bewusst eingesetzt und das menschliche Maß gewahrt werden.
Systematisch umgesetzte E-Health-Systeme und -Plattformen können etwa helfen, die Dokumentation des Gesundheitszustands eines Patienten sowie den Informationsaustausch zwischen den Akteuren im Gesundheitssystem entscheidend zu verbessern, und dabei den Verwaltungsaufwand auf ein Minimum zu beschränken. Mehr Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort ermöglichen eine koordinierte Behandlung des Patienten, verhindern Fehlmedikationen und beugen unnötigen Doppeluntersuchungen vor. In Arztpraxen und Kliniken wird so viel effektiver gearbeitet und gleichzeitig werden Verwaltungskosten eingespart, die wiederum in höhere Löhne für medizinische Fachkräfte und Pflegepersonal sowie bessere technische Ausstattung investiert werden können. Außerdem kann wertvolle Zeit in den persönlichen Kontakt zum Patienten statt in dessen Verwaltung fließen.
Hochqualitative Versorgung ohne lange Fahrten
Automatisierung, Digitalisierung, verbesserte Sensorik sowie lernfähige Diagnostik auf Basis von KI (künstlicher Intelligenz) werden in den kommenden Jahren zudem die Verfügbarkeit von Expertenwissen und den Zugang zu erschwinglichen, einfach zu bedienenden Diagnostikgeräten enorm verbessern, sodass eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung nicht mehr nur in wenigen hochspezialisierten Krankenhäusern, sondern auch in herkömmlichen Kliniken in ländlichen Regionen, den Praxen niedergelassener Ärzte in kleineren Gemeinden oder sogar durch ambulante und mobile Pflegekräfte im eigenen Heim bereitgestellt werden kann. Dadurch könnte zumindest teilweise Abhilfe für die Engpässe und Versorgungsprobleme durch die Spezialisierung und Reduktion von Kliniken sowie den Fach- und Allgemeinärztemangel in der Fläche geschaffen werden.
Wie das aussehen könnte, zeigt das Konzept der „Community Health Nurse”, das seit 2020 im Regierungsprogramm verankert ist, und insbesondere in der medizinischen Versorgung in kleineren Gemeinden eine essenzielle Rolle einnehmen könnte. Diese Person koordiniert verschiedene Leistungen vor Ort und bildet damit die Schnittstelle, an der es heute oft mangelt. Beispielsweise nach einer Entlassung aus dem Krankenhaus ist sie für die rasche und koordinierte Vernetzung zwischen ärztlichen und pflegerischen Diensten am Wohnort sowie dem Patienten oder der Patientin zuständig. Sie unterstützt in der Gestaltung von Pflegearrangements und erkennt durch Hausbesuche gegebenenfalls die Belastungen pflegender Angehöriger frühzeitig. Neben Aufgaben in der Therapie und Pflege ist sie zudem präventiv tätig und stärkt so das Gesundheitsbewusstsein in der Gemeinde. Die Digitalisierung der Gesundheitsdokumente und die verlustfreie Übergabe aller relevanten Daten spielt hierbei eine wichtige Rolle, und verhindert kritische Kommunikationslücken.
Diese Leistungen sollten dabei direkt an das örtliche Primärversorgungszentrum angeschlossen sein. Solche Zentren sind als unterste Versorgungsebene und direkte Kontaktmöglichkeit zum Gesundheitssystem bereits jetzt am Land häufig zu finden und werden auch verstärkt gefördert. Hier sind viele Leistungen unter einem Dach vereint: von präventiven, gesundheitsfördernden, kurativen, rehabilitativen bis hin zu palliativen Gesundheitsdiensten. In ländlichen Räumen ist dieses Konzept besonders attraktiv: Die Zentren sollten dabei breit über die Fläche verteilt und somit leicht erreichbar sein und darüber hinaus durch die Gemeinschaft und den modernen Ansatz einen attraktiven Arbeitsplatz für medizinisches Personal bieten.
Diagnose, Vor- und Nachsorge daheim
Schon heute können neuartige Diagnostikgeräte, die an ein Smartphone angeschlossen werden und deren Daten mithilfe spezieller Apps direkt ausgewertet oder an einen Facharzt gesendet werden, dafür sorgen, dass viele gesundheitliche Versorgungsdienstleistungen ambulant ausgeführt werden können. Durch tragbare Geräte – sogenannte Wearables – können zudem Vitaldaten (bspw. Herzfrequenz, Blutdruck, EKG, EEG, Körpertemperatur, Sauerstoffsättigung und körperliche Aktivitäten) aufgezeichnet werden. Das ermöglicht, dass ein Teil der Versorgung, die derzeit noch stationär stattfindet, bald ebenfalls ambulant geleistet werden kann. Insbesondere für die Überwachung und Versorgung von Patienten, deren Nachsorge nach kurzem stationären Aufenthalt ambulant erfolgt – zum Beispiel wegen großer Distanzen –, oder für Risikopatienten mit arteriellen oder Herzerkrankungen oder Epileptiker sind solche digitalen Technologien sinnvoll.
Auch Menschen, die aufgrund von Alter oder Behinderung mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen leben müssen, wird es durch Innovationen der sogenannten Smart Home Care ermöglicht, länger und eigenständiger in ihren eigenen vier Wänden zu leben, denn Wearables eignen sich nicht nur zur Therapiebegleitung und telemedizinischen Überwachung aus der Ferne, sondern können in Notfällen auch automatisch Alarm auslösen.
In Österreich ist die Telemedizin, bei der ein Patient in einer Art digitalen Sprechstunde mit einer Ärztin telefoniert, noch nicht weit verbreitet. Dabei könnten solche virtuellen Sprechstunden mit speziellen Diagnostikräumen verbunden werden, wo selbstständig oder unterstützt durch Pflegende Untersuchungen durchgeführt und die Ergebnisse direkt an Fachärzte weitergeleitet werden. Verknüpft mit einem funktionierenden E-Health System könnten mithilfe telemedizinischer Fernbehandlung, elektronischer Verschreibungen und Telemonitoring über Wearables sogar viele bislang erforderliche Praxistermine für Patienten sowie Hausbesuche für niedergelassene Ärzte entfallen und damit Arztpraxen spürbar entlastet werden.
Weiterführende Links
PULS Lebensretter-App https://www.puls.at/projekte/lebensretter-app/
Apps, die in der Pflegeorganisation unterstützen und damit Pflegende Angehörige: Juuna oder Youtoo https://www.youtoo.help/
Intelligentes und smartes Notrufsystem Lazarus App https://lazarus-app.de/
Einfach zu bedienende Spielekonsole für ältere Menschen, um geistig und körperlich fit zu bleiben: Memore Box https://www.retrobrain.de/
GPS für SeniorInnen und Menschen mit Orientierungsschwierigkeiten: Raphael SafeMotion https://www.martin.care/raphael-safe-motion
Therapeutische Übungen mittels VR-Technologie: Psii.rehab https://aist.fh-hagenberg.at/index.php/de/projekte/project-psii-rehab
Teleassistenzsystem, um Ärzte und Therapeuten bei der täglichen Arbeit zu entlasten: MeineReha https://www.meinereha.de/
Der neue Beruf “Community Health Nurse”: https://community-health-nurse.at/
Forschungsprojekt an der TU Wien: “Space Anatomy” - Gesundheit und soziale Infrastruktur - Architektur, Planung und Praktiken: http://www.futurelab.tuwien.ac.at/space-anatomy/
E-Health-Software zur Infektionsforschung: Sormas https://sormas.org/
EUvsVirus Hackathon: 117 Lösungsvorschläge für die Bewältigung der Corona-Pandemie https://www.euvsvirus.org/
Deutschland #Wir vs. Virus-Hackathon https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/hackathon-der-bundesregierung-1733632