Die These, dass Individualverkehr im ländlichen Raum essentiell wäre und es keine Alternativen dazu gäbe, hält sich hartnäckig. Scheinbar würden sich auch gut durchdachte Carsharing Projekte nicht rechnen. Nordhessen möchte nun das Gegenteil beweisen.
„Auto teilen“ funktioniert auch am Land
Die Bewohnerinnen und Bewohner auf dem Land sind großteils auf ein Auto angewiesen. Eineerseits, weil der öffentliche Verkehr natürlich viel schwächer ausgebaut ist, als in den urbanen Regionen, andererseits weil die Wegstrecken viel länger sind.
Um Carsharing trotzdem rentabel zu machen, hat man in Nordhessen nun ein Schlüsselelement in der Organisation geändert: Statt Privat angeschaffter PKW´s kommen nun Dienstwägen zum Einsatz.
Angelika Roth testet das Projekt live und legt mittlerweile täglich den Weg von ihrem Dorf Wernswig in Nordhessen nach Homberg mit dem Carsharing-Auto zurück.
Das Auto gehört zum Fuhrpark der Sparkasse Schwalm-Eder-Kreis und des Strom- und Gasanbieters. Während der Arbeitszeit teilen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kreisverwaltung, eine Dienstwagenflotte. Abends und an den Wochenenden können die Mitarbeiter oder die Öffentlichkeit die Fahrzeuge mieten. Einige Angestellte wie Angelika Roth pendeln mit den Sharing-Fahrzeugen jeden Abend in die umliegenden Dörfer und Kleinstädte, um Sharing an ihrem Wohnort zu etablieren.
Pulsierendes Carsharing in Zahlen
Pulsierendes Carsharing nennen Experten dieses Modell. Regio.Mobil stellt die Fahrzeugflotte für das Pilotprojekt in Homberg zur Verfügung. Das Unternehmen will mit Sharing-Lösungen für Wirtschaftstreiber und Verwaltungen das Teilen von Fahrzeugen in ländlichen Regionen etablieren. Dabei bleibt Regio Mobil realistisch: Ziel ist es, die Zweit- oder Drittwagen zu ersetzen. Jedenfalls langfristig. Kurzfristig geht es darum, Sharing für die Menschen auf dem Land überhaupt erst sichtbar zu machen und sie dazu zu bewegen, über ihre Alltagsmobilität nachzudenken.
Jürgen Gies, Mobilitätsexperte am Deutschen Institut für Urbanistik, belegt das Potential des Projekts auch mit Zahlen. "Die Kosten für den Betrieb eines Sharing-Fahrzeugs liegen im Monat bei etwa 800 Euro", sagt er. Damit sich das Teilen von Fahrzeugen im ländlichen Raum überhaupt rentiert, brauche man sogenannte Ankernutzer, die die Autos regelmäßig im Alltag verwenden. Das können wie im Schwalm-Eder-Kreis Mitarbeitende von Unternehmen oder Verwaltungen sein, die sie als Dienstwagen nutzen. Weitere Nutzer zu gewinnen, brauche Zeit. "Das Mobilitätsverhalten der Menschen zu verändern, ist ein langer Prozess", sagt Gies. Bevor sie überhaupt darüber nachdenken, ihren Zweit- oder Drittwagen abzuschaffen, müssten sie von der Verlässlichkeit des Sharing-Angebots überzeugt sein.
Für Angelika Roth lohnt sich das Teilen von Fahrzeugen auch finanziell. Sie zahlt eine Monatspauschale fürs Pulsieren und buchen ein Nutzungskontingent für sonstige Fahrten. Mit Fixkosten von rund 70 Euro an Regio.Mobil liegt sie dadurch deutlich unter den monatlichen Kosten für einen Kleinwagen.
Corona als großer Potentialgeber
Obwohl durch die Corona Pandemie viele Pendlerwege entfielen und sich so dieses Konzept wieder als schwieriger umsetzbar zeigte, bleiben die Betreiber zuversichtlich. Corona hat die Mobilität und die Arbeitsweise der Bewohner in ländlichen Räumen verändert. Umfragen zeigen, dass Angestellte zukünftig zwei bis drei Tage im Homeoffice arbeiten wollen. Dazu wünschen sie sich heimatnah einen weiteren Raum, jenseits von Büro oder Wohnzimmer mit dem notwendigen Equipment. Der Mobilitätsexperte rechnet damit, dass Coworking sich auch in ländlichen Regionen etablieren wird. Und weil Coworking und Carsharing sich aus seiner Sicht gut ergänzen, steht der E-Smart nun vor dem Coworking-Space in Treysa, gegenüber dem Bahnhof.